The Danish Connection Tchicai-Thilo-Christiansen

1964 erschien auf dem Label Savoy die Platte «Archie Shepp and the New York Contemporary 5». Ich bin damals als 19 jähriger auf diesen Sound total abgefahren und auf Shepp sowieso. Da war ein unbekannter Altosaxer dabei, den ich mit seinem wunderbaren Ton sofort ins Herz geschlossen hatte: John Tchicai, von dem ich annahm, dass er Amerikaner war. 

Als ich 1967 nach Kopenhagen ging, lernte ich  Anne Christiansen (voc) und Ole Thilo (keys) kennen. Ole war Mitglied in der Free-Gruppe Cyklamium und Anne war ein paar mal als Sängerin mit dabei. Damals eine der wenigen Free Gruppen in Dänemark.

Erst zu diesem Zeitpunkt hatte ich erfahren, dass Tchicai in Århus als Sohn eines kongolesisch-dänischen Elternpaares geboren wurde.

Querverbindungen:

In den Sechzigern wurden nacheinander grössere Orchester gegründet im Genre von Charlie Haden’s Liberty Orchestra. Thicai’s Bigband Cadentia Nova Danica (on Polydor) war stilistisch eher nach «The New York Contemporary 5» ausgerichtet.

 

WIEBELFETZER WORKSHOP’s 1971/73/82 organisiert vom harten Kern: Beat Kennel – Ole Thilo – Anne Christiansen

Aufstellung von Orchestern, deren Sound damals in unseren Köpfen ab den 60ern herumschwirrten:

1960 Black Liberation Music - Max Roach  «We insist!»

1961 «The Futuristic Sounds of Sun Ra»
1963 «The Black Saint and the Sinner Lady» Charles Mingus
1965 «Ascention» – John Coltrane

1965 Jazz Composer’s Orchestra Carla Bley & Mike Mantler

1966 Globe Unity Orchestra 1966
1970 Cadentia Nova Danica – John Tchicai

1969 Liberation Music Orchestra LP - Charlie Haden + Carla Bley
1970 «Centipede» - Keith Tippett

Später:
1971 «Wiebelfetzer Workshop» - Bazillus – Doppel-LP
1971 «Kreismusik» - 50 Musiker - 4 Bühnen - Publikum in der Mitte - Music Ole Thilo
1972 «Escalator over the Hill» - Carla Bley
1966 Globe Unity Orchestra - erste LP 1973 – Live Wuppertal
1975 «The Only Chrome Waterfall Orchestra» - Mike Gibbs
 

Anfangs 70er wurde George Gruntz musikalischer Leiter im Schauspielhaus Zürich. Für das Theaterstück, «William Shakespeares ‹nackter’ Hamlet» 1971 (Regie: Günther Büch - Dramaturg: Peter Rüedi) hatte Gruntz die Musiker Pierre Favre, Peter Warren und John Tchicai auf die Pfauen-Bühne geholt. Tchicai’s Bedingung: er wollte das nur mit dem dänischen Organisten Ole Thilo durchziehen, der konsequent auf einer Original Farfisa-Orgel spielte, ein im Jazz verpöntes  Instrument, dass damals eigentlich nur italienische Unterhaltungsmusiker in Touristen-Hotels einsetzten. Gruntz wollte Thilo wieder nach Hause schicken, aber Tchicai drohte Gruntz damit, aus dem Projekt auszusteigen. Aus diesem Engagement entstand eine der modernsten Gruppen, die es leider nur für kurze Zeit gab: Das «Naked Hamlet Ensemble». Eine LP wurde nie produziert aber zum Glück gibt es noch wenige Ausschnitte von einem Konzert in Willisau.

Gruntz hatte mich angerufen und mir erklärt, dass alle ihre Künstlerwohnungen des Schauspielhauses besetzt seien. Er hatte vernommen, dass wir in Hütten (SZ), oberhalb Richterswil in einem WG-Haus (Pianist Marcel Bernasconi war der Mieter) in einer Wanderbeiz wohnen würden. So kam es, dass zuerst Tchicai und Thilo über längere Zeit da gewohnt haben. Dann kam noch der Bassist Peter Warren dazu. In der ehemaligen Wanderbeiz wurden viele Proben abgehalten, auch in späteren Projekten wie  die «Kreismusik».

 

Zuerst wollte ich Pierre Favre als Hauptdrummer einsetzen. Pierre hatte zu viele Gigs am Hut und schlug vor, einen seiner Assistenten im «Cymbal-Zentrum Paiste und Co» in Nottwil zu berücksichtigen. Es war der damals 23-jährige Luzerner Fredy Studer, der auch den E-Bassisten Klaus «Gogo» Thalmann mit in den Workshop brachte. Klaus konnte sehr gut Noten lesen, was bei den Kompositionen von Thilo-Tchicai und Ericksson wichtig war.

Mit Irene Schweizer waren wir sehr nahe befreundet. Natürlich kannte ich sie bestens aus «Africana-Zeiten» und sie spielte dann auch an unserem ersten «Bazillus Festival Zug» (Openair 1970). Jürg Grau, auch ein «Africana-Musiker». Wir spielten in den 60ern öfters zusammen und Jürg war auch in allen kommenden Jahren immer wieder mit seinem aussergewöhnlichen Spielstil in verschiedensten Projekten mit dabei. Wichtig zu erwähnen: Grau war 1966 beim ersten  «Globe Unity Orchestra» dabei. Der amerikanische Kontrabassist Peter Warren war ein exzellenter Notenleser und zudem ein kraftvoller, wilder Bassist, der alle  Musikstile beherrschte. Ole Thilo entpuppte sich als gewiefter Komponist und er schrieb die schönsten, von Hand geschriebenen Partituren. Er wurde später professioneller Partiturenschreiber  und arbeitete dann für George Gruntz und diverse dänische Grossorchester. Für Wiebelfetzer I schrieb er «Abrikosmos» und «Bazillus Infection» und er arrangierte auch noch ein Stück von mir, das ich im auf einer Bassflöte vorspielte. Auch Irene brachte Ideen für ein Stück und Ole hat dann für die Band alles niedergeschrieben. Tchicai schrieb während seinem Aufenthalt in Hütten seine Komposition  «Force Ichha». Eriksson kam auch in Schuss und schrieb zum gleichen Zeitpunkt die Komposition «Viodo». Favre arbeitete bekanntlich mal im UOB (Unterhaltungsorchester Beromünster, auch Radio-Bigband genannt). Als wir ihm fragten, ob er einen Bassposaunisten kenne, empfahl uns Pierre den schwedischen Posaunisten Runo Ericksson. Runo war klassisch ausgebildet und konnte «ab Blatt» lesen. Achteinhalb-Viertel-Themen? Kein Problem! Stephan Wittwer spielte 1969  mal kurz in unserer Hippie-Band «Schlüntz», aber öffentlich waren wir nie aufgetreten. Er brachte als 18-jähriger erste schräge Gitarrenklänge in die Szene. Der Tipp auf Wittwer kam vom Künstler und Musiker Anton Bruhin. Der mit Wittwer kurz vorher die LP «vom Goldabfischer» (Label: Pick, Produzent Teddy Pauli) realisiert hatte. Der «Krokodil-Drummer» Düde Dürst war eh ein guter Freund. Er war schon bei fast allen Konzerten dabei, die wir ab 1969 organisert hatten. Er wurde von uns als Conga-Spieler eingesetzt.

Wir hatten kurz vor dem Konzert im «Weissen Wind» im «Drahtschmidli» eine erste Probe, erstmals mit allen Musikern.

Einen Tag vor dem Konzert vom 27. April 1971 gab es noch die Generalprobe im kleinen Säli vom Weissen Wind.

Die Bühne vom Weissen Wind war für  die ganze Band zu klein. Deshalb bestellte ich bei der Gerüstfirma Indupro AG vier Teile, die uns die Monteure nach meinem Vorstellungen aufgestellt hatten. Die Aufnahmen des Livemitschnitts machte Peter Pfister mit seinem mobilen Tonstudio.
Der Konzert war ausverkauft.

Dieser Gig war für uns alle ein grosses, wichtiges Erlebnis. Das Publikum war geduldig und sehr aufmerksam und auch enthusiastisch.

Produktion «Wiebelfetzer Live» Doppel LP

Die  Doppel-LP «Wiebelfetzer Live« (1971) war meine erste Schallplatten-Produktion. Ich wusste damals betreffend Produktion überhaupt nichts und was man mit so einem Produkt anstellen soll. Wir wollten das Live-Konzert in erster Linie auch einfach nur dokumentieren.  

Anne Christiansen und ich begannen in dieser Zeit mit unserer Arbeit als selbständige Illustratoren und Grafiker und hatten kein Geld, diesen Versand richtig aufzubauen. Im Gegenteil; wir mussten das Defizit vom Live-Konzert und der LP-Produktion selber übernehmen.

In unserem «Direkt-Vertrieb« wurden vielleicht 150 Scheiben verkauft. Die grösste Sendung von 300 Stück ging nach Dänemark zu einem Musikvertrieb. Die Rechnung wurde nie bezahlt, denn der Inhaber hatte, um Geld von der Versicherung zu erschleichen, sein ganzes Lager vorsätzlich angezündet = «Fondue à la Vinyl».

Irgendwie hatten dann doch noch ein paar Leute aus der Szene bemerkt, dass das eine ziemlich schräge Produktion war. Es gab ein paar positive Kritiken, wo die Belege leider im Laufe der Zeit verschwunden sind.

Zudem wurde uns für diese Doppel-LP im Rahmen des Montreux Jazz Festival als, Zitat: «aussergewöhnliche schweizerische Privatproduktion von internationaler Bedeutung» mit dem «Grand Prix du Disque de Jazz Montreux 1973» ausgezeichnet». Wir bekamen genug Klebesticker, um auf jeder Platte damit anzugeben.

In den letzten 10 Jahren hatten wir gestaunt, was auf dem Portal discogs.com für das Album für Preise angeboten werden. Einmal waren es 570.- Franken! 

In den Jahren 1973 und 1982 folgen zwei weitere Wiebelfetzter-Workshops.

Zum Schluss: 

Woher ich den Namen «Wiebelfetzer» hatte…

Ende fünfziger Jahre schickte uns unserer ältester Bruder Maurice die ersten «MAD-Paperbooks» aus New York. Wir haben das ganze Material völlig aufgesaugt und konnten bald einige Passagen aus diesen Heften auswendig. Da war die Rede von einer «Veeblefetzer Corporation». Das wurde in unserer Jugendclique ein running Gag, wenn es darum ging, eine etwas obskure Firma (Gruppierung, Institution usw.) zu umschreiben.

Weil alle hiesigen Rockgruppen englische Gruppen-Namen benützten, hatte ich quasi als Protest den Namen «Veeblefetzer» zehn Jahre später zum «Wiebelfetzer Workshop» eingedeutscht.

https://de.wikibrief.org/wiki/Veeblefetzer